| Gastbeitrag von Lukas|
„Sie sind immer noch zusammen?“ fragte mich meine Therapeutin, als wir nach einer längeren Pause wieder in ihrer Praxis zusammen saßen. Die Verwunderung stand in ihrem Gesicht geschrieben. Es schien, als hätte sie Schwierigkeiten meine Geschichte nachzuvollziehen.
Wie kam es also, dass meine Partnerschaft die Belastungen nicht nur überlebt hat, sondern daraus die große Liebe wurde?
Bis zu unserem nächsten Jahrestag ist es nicht mehr lange hin, und wir stehen an einem sehr interessanten Punkt unserer Beziehung. So dachte ich, es wäre vielleicht eine gute Idee meine Entwicklung der letzten Jahre aufzuschreiben.
Sie besteht im Grunde aus vier Schritten:
1. Verletzungen hinter sich lassen: Warum es sich lohnt, die Vergangenheit aufzuräumen
2. Idealbilder durch den Schredder ziehen: Das Geheimnis erfüllender Beziehungen
3. Sein eigener Gesundheitsdetektiv sein: Was wirkliche Selbstbestimmung möglich macht
4. Sich eigene Vorstellungen machen: Die Gründe für mehr Eigenverantwortung
1. Verletzungen hinter sich lassen
Um mein Selbstwertgefühl stand es lange Zeit nicht gut. Die Traumata meiner Kindheit aber auch die Beziehungen, in denen ich viel verbale und emotionale Gewalt abbekommen habe, hatten einige Löcher in meine Selbstachtung gefressen.
Raus aus dem Sumpf: Warum eine freundliche Umgebung entscheidend war
Einen der ersten Schritte aus dieser Abwärtsspirale machte ich, als ich meine Partnerin kennen lernte und den Sumpf verließ. Damals fiel mir auf, wie ein bestimmter Zustand schon länger anhielt: Ich strengte mich in der Therapie an und versuchte, mein Leben besser in den Griff zu bekommen – gleichzeitig schien irgendetwas mich zurückzuhalten.
Es war wie in einem Hamsterrad – ich rannte, ich sprintete – doch ich kam kaum vorwärts. Aber eines Tages hatte ich es verstanden: Es ist der Sumpf, der mich langsamer werden lässt. Er steht symbolisch für Menschen und Umstände, die mich so stark belasteten, dass meine Lösungsversuche kaum griffen und ich, im schlimmsten Fall, keine Kraft mehr hatte. So musste ich an diesem einen Tag noch einmal den Stress erleben, der durch verbale und emotionale Übergriffe entstand, und was früher für mich so typisch war.
Das Gefühl, falsch und defekt zu sein, war tief in mir verwurzelt. Immer wieder in einem aggressiven und entwertenden Ton zu hören zu bekommen, was bei mir angeblich alles schief hängen soll, prägte mich.
Die Unterstützung
Was für mich jahrzehntelang teilweise Normalität war, machte auf Außenstehende einen schockierenden Eindruck. Mir hat es gut getan, Feedback von anderen dazu zu bekommen.
So merkwürdig das klingen mag – ich brauchte damals die Bestätigung, dass es nicht okay ist, wie ich behandelt werde und dass ich alle Rechte der Welt habe, mich dagegen zu schützen.
Die Abgrenzung
Nachdem ich nach vielen Jahren realisiert hatte, wie sehr mich diese Belastungen in meiner Entwicklung behinderten, gab es kein langes Fackeln mehr. Telefonnummer und E-Mail-Adresse zu wechseln war nur der Anfang. Es ging weiter mit E-Mails, in denen ich ohne Umschweife eine Kontaktsperre ausgesprochen habe und endete damit, dass ich bei meiner Freundin Unterschlupf fand.
Mein Umfeld bewusst wählen
Meine Empfindsamkeit für Einflüsse von außen war so hoch, dass ich schnell ins Straucheln kam, wenn etwas nicht stimmte. Rückblickend denke ich, dass mein Fass bereits voll war – und der Stress aus meiner Umgebung brachte es dann schnell zum Überlaufen (da waren schon die Traumata, verschiedene Nährstoffmängel und Probleme mit der Schilddrüse).
Wenn hingegen alle wesentlichen Säulen standen – es mit meiner Freundin rund lief und ich auch sonst keine größeren Belastungen zu tragen hatte – funktionierte ich um Längen besser. Plötzlich fiel es mir leicht, die Verkrampfung der Muskeln zu lösen und tief in den Bauch zu atmen. Auf einmal waren die Schultern nicht mehr ständig hochgezogen und ich wurde immer produktiver.
So achtete ich darauf, mir ein Umfeld zu schaffen, das mich unterstützte und in dem ich wachsen konnte. Für mich kommen heute Beziehungen, in denen ich viel hineingebe, aber immer wieder den Kürzeren ziehe, nicht mehr in Frage. Notorische Energiediebe setze ich über kurz oder lang vor die Türe.
Warum es sich lohnt die Vergangenheit aufzuräumen: meine Traumasessions
Nachdem ich mein Umfeld aufgeräumt habe, ging es als nächstes darum, meine Traumata aufzuarbeiten. Die ersten Tage nach der ersten Traumasitzung führte ich mein Audiotagebuch etwas engmaschiger. So ist unter anderem diese Aufnahme entstanden.
In einer weiteren Sitzung ging es ums Eingemachte, ich nahm mir mein großes Trauma vor. Hier ist die erste Aufnahmeserie aus dem Live-Ticker, der zeigt, wie es mir die Tage darauf ging (hier hatte ich das Glück, dass Tontechniker sich um diese Tracks gekümmert haben!).
Noch ist einiges zu tun, um mich mit meiner Trauma-Aufarbeitung wirklich zufrieden zu fühlen. Ich spüre auch heute noch an der einen oder anderen Stelle wie die Vergangenheit meine Gegenwart negativ beeinflusst.
Manchmal tröste ich mich dann mit diesem Gedanken:
Die Vergangenheit kann ich nur aufräumen, die Zukunft nur vorbereiten. Gut gehen kann es mir aber nur jetzt.
Die Arbeit geht also weiter…
2. Idealbilder durch den Schredder ziehen
Wenn ich eines unserer größten Hürden für glückliche Beziehungen in einem Wort zusammenfassen soll, die Wahl würde auf „denaturiert“ fallen.
Oft erwarten wir von uns und unserem Partner ein Aussehen, das keiner erreichen kann, ohne dabei seine Gesundheit zu gefährden oder auf Photoshop zurück zu fallen. Aber auch an das Leben haben wir oft denaturierte Vorstellungen, die immer wieder zu Problemen führen.
Doch eins nach dem anderen…
Die Medien (und Gesellschaft) durchschauen
Zu Beginn meiner Beziehung machten mir meine Vorstellungen, wie meine Partnerin auszusehen hat, massive innere Probleme. Ich war stark von dem Bild geprägt, das ich aus den Medien und der Gesellschaft zog. Damit meine ich alles – Filme, Pornos und die liebe Werbung. Als der Schuh zu sehr zu drücken begann, schaute ich mich nach Möglichkeiten um, dieses Thema anzugehen.
Dass Photoshop nahezu überall für unrealistische Körperbilder sorgt, ist mittlerweile ein alter Hut. Und dennoch – für mich waren es die Details, die mir geholfen haben, die Tragweite zu verstehen und die frustrierenden Idealbilder in die Tonne zu kloppen (liebe Interessenten, bitte den Schredder nicht vergessen!).
Deshalb sind hier einige Links aufgelistet, die mir als Anregungen geholfen haben:
- Ted Talk über das Bild der Frauen in den Medien von Jean Kilbourne
- Projekt zu unseren Erwartungen an Frauen und Männern
- Ted Talk zur Frage warum Photoshop in der Werbung eingesetzt wird von Holly Baxter
- Projekt zu authentischen Körperbildern und über das echte Leben
Durststrecken durchhalten
Es muss Spaß machen, einfach sein und wehe meine Investition zahlt sich nicht schnell aus! Diese drei Ansprüche begegnen einem an fast jeder Ecke. Und nicht weit entfernt davon warten der Frust und die Enttäuschungen, denn das Leben hält sich nur selten an diese künstlichen Spielregeln.
Gerade bei Beziehungen funktioniert diese Denkweise nicht. Worauf kommt es dann an? Müsste ich mich wieder kurz fassen, mir würde als erstes die Bereitschaft einfallen, an sich zu arbeiten und harte Umstände auch für längere Zeiten auszuhalten (natürlich spreche ich hier nicht von Dingen wie krasse Vertrauensbrüche oder gewalttätiges Verhalten).
Das Geheimnis erfüllender Beziehungen
Meine Partnerin hat erst kürzlich ein interessantes Interview mit einem ehemaligen Manager von großen Partnerbörsen gefunden, das dazu passt (und noch weiter geht).
3. Sein eigener Gesundheitsdetektiv sein
Dass ich als Erwachsener am Ende immer eine große Eigenverantwortung für mein Wohlbefinden trage, musste ich auf die harte Weise lernen.
Als ich das letzte psychiatrische Medikament ausschlich, stolperte ich nach und nach über Informationen, die unser Gesundheitssystem in Frage stellten. Am Ende dieses Prozesses beschloss ich, mich selbst auf dem Weg zu machen und der Sache auf den Grund zu gehen.
Die psychiatrische Vorstellung von uns Menschen hat sich fest in unserer Gesellschaft etabliert – Richter urteilen aufgrund psychiatrischer Gutachten, klinische Depressionen und Angststörungen gelten als Volkskrankheiten und selbst unsere Kleinsten werden immer mehr mit Ritalin und anderen psychiatrischen Medikamenten versorgt, wenn sie aus der Reihe scheren.
Und das alles auf Grundlage der Psychiater-Bibel, dem DSM oder wahlweise der ICD. Keiner kommt an diesen Werken vorbei, wenn er von öffentlichen Geldern oder den Versicherungen abhängt. Psychologen, Pädagogen und die vielen anderen Berufsgruppen arbeiten mit den Konzepten, die darin beschrieben werden.
Wenn es derart etabliert und verbreitet ist, muss es Hand und Fuß haben, wird man annehmen dürfen. Bei dieser geballten Experten-Power überlassen wir das Nachdenken gerne den Professionals.
Und wenn ich mich so umschaue, scheint selbstständiges Denken in der Tat nicht sonderlich gefragt zu sein.
Doch wohin hat das geführt?
Sind wir wirklich zufrieden mit dem, was unsere Ärzte, Psychiater, Psychotherapeuten und Pädagogen machen? Also einmal nicht aus Sicht der Marketing- und PR-Maschinerie betrachtet, sondern aus unserer?
Nur ein kurzer Blick auf die steigenden Kosten für unser Gesundheitssystem lässt einen nachdenklich stimmen. Unser Lebensglück und unsere Gesundheit sind nicht mit der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung gewachsen, sondern entwickeln sich eher zurück, könnte man meinen.
Da wird wohl die Frage erlaubt sein: Wie kann das sein? Und wer sind diese Leute, denen wir so viel Verantwortung übertragen?
Zunächst einmal liegen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander – in der Ausbildung unserer Professionals, dem Forschungsbetrieb und der (ärztlichen) Praxis. Es war für mich ein hilfreicher Augenöffner, mir diese beiden Fragen genauer anzuschauen. Danach habe ich mich nicht mehr gewundert, warum so viele Therapeuten und Ärzte nicht wirklich wissen, was sie tun.
Auf meinem Blog habe ich mich schon damit befasst und zu einigen interessanten Artikeln, Reportagen und Videos verlinkt. Hier möchte ich ergänzend auf die Geschichte der Psychiatrie eingehen. Das hat mir geholfen, um einen zentralen Anspruch auf seinen Realitätsgehalt zu überprüfen:
„Psychische Krankheiten sind genauso wie Diabetes eine Tatsache (und entsprechend wissenschaftlich messbar).“
Dieser Anspruch setzt voraus, man könne so einfach zwischen psychischen und körperlichen Ursachen unterscheiden. „Oh mein Gott, ich bin geisteskrank!“ oder wahlweise „Er ist geisteskrank, bloß weg hier!“ heißt es dann insgeheim, wenn die Diagnose ausgesprochen wurde.
Sprich, bei einer Geisteskrankheit (was für ein Wort, sorry) ist die Psyche erkrankt. Ganz im Gegenteil zu einer Schilddrüsenkrankheit, hier handelt es sich um ein körperliches Problem.
Wenn dieses Organ nicht ausreichend funktioniert und dieser Zustand unbehandelt bleibt, wirkt sich das zwar unweigerlich auf die Psyche aus – sogar bis zu dem Punkt, an dem man wahnsinnig wird – aber das ist dann etwas körperliches, was gemeinhin anerkannt ist. „Was für eine Erleichterung! Und ich dachte schon zu den Bekloppten zu gehören! Aber das war ja nur die Schilddrüse…“
Dieser Zeitungsartikel beschreibt eindrücklich, wie schwer durchschaubar dieses Thema ist und wie weit die Konsequenzen reichen können. Wenn also die Psyche krank werden kann, muss unseren Experten auch einiges konkret bekannt sein: Nämlich aus was genau die Psyche besteht und welche Bestandteile von ihr verändert sind – und zwar auf krankhafte Weise.
Hier kommen wir zu dem ersten großen Widerspruch: Laut diesen Professionals bestehen wir Menschen ausschließlich aus unserem Körper. Unser Bewusstsein, unsere Gedanken und unsere Gefühle sollen demnach durch biochemische Vorgänge im Hirn entstehen.
Nach dieser Vorstellung gilt: Ohne Körper keine Psyche. Und: Die Psyche ist eine „Black Box“, deren Inhalt nicht untersucht werden könne.
Wie kommen die Psychiater dann darauf, dieses unbekannte Etwas als „gestört“ oder „krank“ bezeichnen zu können?
Um das weiter nachzuvollziehen, habe ich mir zunächst die historische Entwicklung von ihrem Krankheitsmodell angeschaut (sprich die Vorstellung, es gäbe psychische Krankheiten als eine Tatsache).
Hier eine kurze Zusammenfassung der Geschichte (wie hier anzusehen):
1980: Die psychischen Krankheiten werden entwickelt
Die psychiatrischen Behandlungen sind umstritten und die amerikanische Gesellschaft für Psychiatrie (APA) steht unter Existenzdruck. Um das Fortbestehen der psychiatrischen Unternehmung zu sichern, beschließen sie ihren Ansatz grundlegend zu verändern: Ab jetzt gilt ein neues Modell, in dem die Psyche genauso krank werden könne, wie der Körper. Das werde man im Nachhinein durch Studien nachweisen, so ihr Versprechen – und zwar anhand von biochemischen Vorgängen im Körper (warum das dann als „psychische Störungen“ bezeichnet wurde anstatt „biochemische Störungen“ übersteigt meinen Horizont).
1985: Die Geisteskrankheiten sind fest in den Köpfen verankert
Ein Meilenstein ist erreicht – nach nur fünf Jahren PR- und Bildungskampagnen haben sich sowohl die Fachwelt, als auch weite Teile der Bevölkerung davon überzeugen lassen: Wem seine Gedanken, Gefühle oder Verhaltensweisen von einer gewissen Norm abweichen, ist geisteskrank. Und weil diese Geisteskrankheiten körperlich sind, gibt es zur Behandlung wirksame Medikamente. Die versprochenen schlüssigen Beweise für die biochemischen Vorgänge könne man zwar noch nicht erbringen, aber das tue der Wirksamkeit der Behandlungsformen keinen Abbruch. Diese Medikamente nehmen auch über ungeklärte Wege Einfluss auf die Psyche und sind heute weitläufig als Psychopharmaka bekannt (bin das nur ich oder passt da etwas nicht zusammen?)
2013: Die Glaubwürdigkeit der Diagnosen bröckelt weiter (der Nutzen auch)
Das DSM, die Psychiater-Bibel, erscheint in der fünften, überarbeiteten Auflage. Noch immer konnten keinerlei Beweise für ihr Krankheitsmodell gefunden werden (also für die Existenz von Geisteskrankheiten). Auch aus eigenen Reihen wird die Kritik lauter, mit vorne dabei der prominente Psychiater Allen Frances.
Dafür wurde die Anzahl der vorhandenen Krankheiten wieder erhöht und selbst alltägliche Gefühle als behandlungsbedürftig eingestuft. Ab jetzt gilt: Nach einem Todesfall ist nur noch eine kurze Trauerphase von wenigen Monaten normal. Wer länger braucht, sollte professionelle Unterstützung in Anspruch nehmen, womöglich auch in Form von Psychopharmaka. Denn dann handelt es sich um eine psychische Störung, die fortschreitet, wenn sie unbehandelt bleibt. Soweit das DSM.
Inzwischen stoppen immer mehr Geldgeber Forschungsprogramme zum Beispiel zum DSM (einfach nach Thomas Insel googeln) oder auch Neurologie, da sie selbst nach milliardenschweren Projekten nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht haben.
Was wirkliche Selbstbestimmung möglich macht
Dieses Wissen habe ich genutzt, um mich frei zu machen von Vorstellungen (und manchmal auch einschränkenden Vorgaben) anderer. Besonders stark habe ich die Auswirkungen gemerkt, wenn es mir oder meiner Partnerin schlecht ging und wir eine harte Zeit durchmachten. Wird sie es schaffen oder wird sie so zusammenbrechen, dass sie sich davon nur schwer erholen kann?
Als ich noch an das Krankheitsmodell geglaubt habe, tauchten schnell Zweifel und Ängste auf. Das trifft natürlich auch auf mich zu – in der Übergangszeit habe ich mich manchmal dabei ertappt, wie ich dachte: „Oh mein Gott, ist das ein Rückfall?! Werde ich wieder in die Klapse müssen?“
Heute laufen meine inneren Gespräche anders ab. Wir beide haben schon viel durch – schon lange bevor wir uns kennen lernten – ich sehe dann da starke Persönlichkeiten, die ganz schön widerstandsfähig sind.
Das führt zu einer anderen Erwartungshaltung, die mir hilft auf tiefgreifende Weise daran zu glauben, es zu schaffen.
Und bei allem, was ich bisher an Erfahrungen gesammelt habe – es ist alles möglich. Warum sollte ich mich ohne Not einschränken lassen?
4. Sich eigene Vorstellungen machen
Die Gründe für mehr Eigenverantwortung
Im Wesentlichen folgt für mich aus diesen ganzen Überlegungen der ersten Kapitel eine Konsequenz: Ich muss selbst bewerten und entscheiden, was für mich sinnvoll ist.
Also wie ich die Welt sehen möchte (wie sie funktioniert), was ich bin (woraus ich bestehe) und was mir hilft oder eher schadet.
Niemand hat die nötige Übersicht, um mir diese Denkarbeit abzunehmen. Und schon gar nicht das Einfühlungsvermögen, um sagen zu können was ich gerade brauche.
Dafür ist die Welt zu komplex und wir Menschen zu individuell gebaut.
Professionals (auch Ärzte und Wissenschaftler) haben so gesehen also nicht mehr die Deutungshochheit, sondern können höchstens Denkanstöße geben, die ich selbst auf Logik (und Widersprüche) prüfen muss. Es ist zum Beispiel doch sehr erstaunlich, wie klar mein Körper weiß, welches Essen mir in diesen einen Moment gut tun wird.
Ich musste nur lernen auf ihn zu hören, was Zeit und Arbeit bedeutete.
Zu meinen wichtigsten Denkanstößen gehören die Arbeiten von Rupert Sheldrake und Dean Radin. Besonders befreiend war für mich der Ted Talk „The Science Delusion“.
Denn damit habe ich mir die nötige Freiheit geschaffen, um Ideen zu entwickeln, die meinem Leben besser gerecht werden und mir oft helfen, meine Probleme konstruktiv und produktiv anzugehen.
Für mich hat es sich gelohnt, mich nicht vom Gruppendruck einschränken zu lassen und mir selbst ein Bild über die Forschungslage zu machen.
So konnte ich für mich die Frage nach dem Tod klären (und die Angst davor verlieren), die Verbindung zu meiner Partnerin weiter vertiefen und meinen Umgang mit trostlosen Situationen stark verbessern, also meine Resilienz steigern. Wenn es da mal nichts zu meckern gibt…
Es macht eben einen Unterschied, ob ich von mir denke eine lebenslange Krankheit zu haben (wie zum Beispiel die sogenannte Bipolare Störung) oder ob ich von anderen Erklärungen ausgehe.
Etwa davon, dass meine Probleme durch eine Mischung aus unterschiedlichsten Faktoren entstanden sind: Meinen früheren Erlebnissen, dem vielen Stress, durcheinander geratene Gedanken und Gefühle, verschiedenen Nährstoffmängeln und Giftbelastungen, Schilddrüsenproblemen oder auch Entzündungsprozessen – nur um einige wenige zu nennen.
Das erste Modell (ich bin defekt) habe ich ausgiebig und lange ausprobiert.
Es steht wissenschaftlich im besten Fall auf sehr wackeligen Füßen und die Ergebnisse sehen in meinem Fall doch eher bescheiden aus.
Das zweite Modell (ich bin Überlebender, kein Opfer) fühlt sich nicht nur besser an, sondern ermöglicht mir ein erfüllteres Leben.
Dieses Bild (unser Kühlschrank direkt nach der Korblieferung) bringt es auf dem Punkt.
Über den Autor:
Lukas hat mit einem Audiotagebuch seine Reise durch die Psychotherapien und Psychiatriepraxen nachgezeichnet. Was mit einem Radiofeature für das Deutschlandradio Kultur begann, in dem er als Protagonist vorkam, führt er jetzt in seinem Blog weiter. Darin gibt er Einblicke aus einem Leben ohne Borderline, Depressionen und Traumafolgestörungen.
Danke für diesen schönen Beitrag!
„Ich muss selbst bewerten und entscheiden, was für mich sinnvoll ist.“ Das kann ich voll und ganz unterstreichen. Wenn es mir gerade schlecht geht und ich mir gerne helfen lassen würde, ist es natürlich nicht einfach, sich im verwirrenden System von widersprüchlichen Aussagen, Diagnosen und Therapieansätzen zurecht zu finden.
Eine Anmerkung zur Geschichte der Psychologie/Psychotherapie: Die Psychoanalyse ging von einem innerseelischen Konflikt aus, den sie mit dem Begriff der Neurose bezeichnete (Konfliktthese). In den letzten Jahrzehnten hat sich allerdings das die Defizitthese durchgesetzt. Eine psychische Krankheit ist demnach ein Defekt (es heißt nicht zufällig „Funktionsstörung“), der repariert werden kann und muss (vgl. dazu Alain Ehrenberg: Das erschöpfte Selbst).
Ich orientiere mich zur Zeit an folgenden Punkten:
– Symptome sind eine Auffoderung zur Entwicklung und genauer hinzuschauen. Ich bin nicht schuld daran, aber ich habe die Verantwortung dafür, damit umzugehen.
– Es wird niemals so wie vorher. Heilung heißt Entwicklung, Veränderung, Transformation und nicht Reparatur.
– Heilung/Glück bedeutet nicht die Abwesenheit von Symptomen, sondern in Frieden mit den Symptomen sein.
Hi Steven! Ich hoffe, Lukas liest bei den Kommentaren mit 🙂
Danke für deine drei Punkte, ich finde sie sehr schön und entlastend!
LG Moni
Hey Steven,
danke, habe mich über dein Feedback gefreut! Besonders schön finde ich deinen zweiten Gedanken. Dass etwas neues (und oft schöneres) entsteht, wenn man beginnt die Vergangenheit aufzuräumen… So wie ich es jedenfalls verstehe. Das hilft mir, auf das Jetzt zu schauen und mich auf die Zukunft zu freuen.
LG
Lukas
Liebe Moni, vielen Dank für das hosten dieses Beitrags.
Lieber Lukas, vielen Dank für diesen Beitrag. Sowas fesselndes, kluges und wunderschön formuliertes habe ich lange nicht gelesen. Euer Kühlschrank ist für mich natürlich ein kleiner Seelenhüpfer, aber mich hat eigentlich das Thema Partnerschaft in den Artikel gezogen. Mein Mann hat sich acht Jahre lang von mir bekämpfen lassen, aber er hat mch geliebt. Heute habe ich meine Bausteine gut sortiert und das Zusammenleben ist deutlich reibungsärmer. So reibungsarm, dass wir letztes Jahr nach 12 Jahren auch geheiratet haben. Es gibt aber noch Tage und Wochen an denen meine Bausteine durcheinander geraten. Das schönste auf der Welt ist, jemanden zu haben, der mir die Zeit gibt sie wieder zu sortieren, während er mich festhält und aufpasst, dass mir sonst nichts passiert. Und mir was gutes zu essen macht. Denn ehrlich gesagt glaube auch ich an die Biochemie und die braucht vor allem was echtes, gutes zu essen 😉 Ich wünsche dir und der Frau, die dich begleitet alles Gute. Und jetzt gehe ich mir mal deinen Blig anhören. Liebe Grüße, Nadja
Hey liebe Nadja,
das freut mich echt, dass du auch zu deinem Beziehungsglück gefunden hast! Habe mich in deiner Geschichte etwas wiedererkannt. Meine Partnerin hat von Anfang an etwas in mir gesehen, woran ich damals nicht so recht geglaubt habe. Einige größere Umstellungen später (auf beiden Seiten), und wir sind an einem richtig schönen Ort angekommen. Sprich, unsere Beziehung hält inzwischen echt viel aus, was wichtig ist – denn ich habe noch die eine oder andere Aufräumarbeit vor mir und damit gibt es hin und wieder auch größere Tiefs (vorallem auf meiner Seite)…
Aber wir haben schon soviel gemeistert und wissen ganz gut, was uns hilft… 🙂
Wünsche dir und deinem Mann auch alles Gute.
LG
Lukas
Oh, und in einem Erfahrungsbericht auf ADFD habe ich noch weitere Details zum Beziehungsthema geschrieben: http://adfd.org/austausch/viewtopic.php?f=51&t=11506
Vielleicht ist da auch noch was Interessantes dabei 😉