Lass die Nahrung deine Medizin sein und die Medizin deine Nahrung.” (Hippokrates)
Vegetarischer Teller im Hiltl (Zürich)
Hätte ich die Auswirkungen von Nahrungsmittelunverträglichkeiten nicht am eigenen Körper gespürt, würde ich kaum glauben, wie groß der Unterschied im Wohlbefinden sein kann – je nachdem, was man isst.
Ich habe bereits zahlreiche Ernährungsformen ausprobiert: Von der ungesündesten Art mit Fast Food und viel Zucker, über vegane Ernährung, bis hin zu einem medizinischen Nahrungsmittelunverträglichkeitstest und anschließender glutenfreier und histaminreduzierter Kost.
Je nachdem, an welchem Punkt dieser Entwicklung ich gestanden bin, habe ich mich gänzlich anders gefühlt. Solche Effekte werden bei einer Ernährungsumstellung von ein bis drei Tagen kaum bemerkt, doch bereits ab drei Wochen sind meist deutliche Unterschiede spürbar. Man kann dementsprechend viel dazu beitragen, wie ruhig, angespannt, motiviert oder antriebslos man sich fühlt, auch Nährstoffmängel spielen eine große Rolle.
Ich freue mich, euch heute ein Interview mit der ganzheitlichen Ernährungsberaterin Nadja Polzin vorzustellen. Es enthält viele Informationen zum Thema Einfluss der Ernährung auf die Psyche.
Interview mit Nadja Polzin
Liebe Nadja! Ich freue mich sehr, dass du Interesse an einem Interview auf meinem Blog hattest. Ich habe dich über die spannenden Artikel auf Foodlinx entdeckt. Woher kam deine Motivation diese Plattform zu gründen?
Wie bei vielen anderen ist foodlinx aus einer persönlichen Problemstellung heraus entstanden.
Im Sommer 2013 habe ich versucht über die Ernährung einige gesundheitliche Problemstellungen, die ich hatte, in den Griff zu bekommen. Zu dem Zeitpunkt spielte die sportliche Leistungssteigerung für mich eine wichtige Rolle.
Ich las viel über Ernährung und beschloss eines Tages auf Gluten zu verzichten. Das bekam mir ausgesprochen gut und ich verlor die hartnäckigen Polster auf den Hüften. Was aber viel wichtiger war: Innerhalb von wenigen Wochen stabilisierte sich meine Psyche auffällig und ich verlor meine starken Stimmungsschwankungen und Aggressionen. Aus mir wurde tatsächlich in kürzester Zeit ein anderer Mensch.
Leider hatte sich aber schon eine Histaminunverträglichkeit eingestellt und ich brauchte professionelle Hilfe, um das Thema zu bearbeiten. Meine Besuche bei einer Ernährungsberaterin blieben erfolglos und ich muss sagen, dass mich diese Erfahrung sehr beeinflusst hat. Meine Beschwerden wurden abgetan, Histamin sei völlig überbewertet und nach zwei Sitzungen schickte sie mich mit den Worten „Ich kann nichts für Sie tun“ nach Hause. Ich muss sagen, dass ich kein Arztgänger bin. Mich kostet das viel Überwindung, mir Hilfe zu suchen. Trotzdem habe ich einen neuen Anlauf genommen und einen Heilpraktiker gefunden, der meine Sorgen ernst nahm und mir in den Gesprächen auch zeigen konnte, wo meine Probleme liegen.
Natürlich ging es nicht nur ums Essen, aber es war eine Hilfe, die Ernährung entsprechend anzupassen. Stress, Sorgen, Familie, im wahrsten Sinne der gesamte Lebensstil spielt eine Rolle bei der Entstehung von gesundheitlichen Problemen. Paleo als Lebensstil hat mir dabei sehr geholfen. Aus diesem Grund habe ich foodlinx gegründet. Um anderen zu zeigen, dass es geht und um Themen zu vermitteln, die zwar in der Wissenschaft auftauchen, aber bei uns im Prinzip im Gesundheitswesen keine Rolle spielen. Es geht um Medikamente, schnelle Lösungen, wenig Mensch und viel Geld – das ist ganz klar nicht mein Verständnis von einem humanen Gesundheitswesen und einer Therapie, die an den Ursachen arbeitet.
Hat der Name Foodlinx eine spezielle Bedeutung?
Ja, foodlinx steht für die Verbindung (englisch: link) zu unserem Essen. Ich habe selbst gemerkt, wie viele Aspekte des Lebens durch eine andere Form der Ernährung verändert werden können. Das wollte ich im Namen transportieren.
Bist du der Meinung, dass die Ernährung einen Einfluss auf die psychische Gesundheit haben kann?
Selbstverständlich! Der Mensch ist ein biochemisches Wesen. Seit René Descartes im 16. Jahrhundert trennen wir Körper, Seele und Geist und tun in der Medizin so, als hätte das nichts miteinander zu tun. Die Schulmedizin trennt meist sogar nach Organsystemen, hinzu kommt die Psyche als abstraktes vom Körper getrenntes etwas (das man trotzdem mit Medikamenten beeinflussen kann). Kaum einer sieht die Verbindung zum Rest.
Es gibt unzählige Beispiele von gesundheitlichen Beschwerden, die ihre Ursache nicht dort haben, wo die Beschwerden auftauchen. Ein simples Beispiel ist der Tennisarm. Die Schmerzen sind im Ellenbogen, aber die Ursache liegt in der Schulter oder im Handgelenk. Trotzdem reiben wir den Ellenbogen mit Schmerzgels ein. Ähnlich ist das mit der Psyche.
Die Psyche – so gespenstig das für viele klingt – ist eine biochemische Reaktionskette. Hormone und Neurotransmitter haben hier das Sagen. Und die werden aus Nährstoffen gebildet. Sehr gut ernährte Menschen sind ausgeglichen, glücklich, selbstbewusst und zufrieden – egal, was das Leben für Herausforderungen stellt. Schau, wir haben eine Kriegsgeneration gehabt, die unter Höchststress stand. Sie sind trotzdem nicht reihenweise mit Burn-Out aus dem Krieg gekommen, sondern haben Europa wieder aufgebaut.
Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren (Eiweiße) und Fettsäuren spielen eine sehr wichtige Rolle. Auch das Funktionieren des Immunsystems ist sehr wichtig und lässt sich über die Ernährung beeinflussen. Wir bestehen eben aus dem, was wir essen und verdauen. Unsere Vorfahren wussten das.
Leider ist das im Prinzip nicht bekannt bzw. bekommt nicht die Aufmerksamkeit, die es in der Therapie verdient hätte. Das ist sehr traurig und ich hoffe, dass der aktuelle Trend in Richtung funktioneller Medizin und Naturheilkunde daran etwas ändert. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem die Pharmazie nicht mehr als Non-Plus-Ultra angesehen wird. Jedenfalls von einigen Patienten und progressiven Ärzten. Ich hoffe also, dass eine Medizin der Zukunft andere Antworten liefert und die Menschen nicht mehr gedankenlos zur Pille greifen wollen, sondern auch bereit sind ihren Lifestyle zu ändern. Das braucht Raum in der Gesellschaft für diese Veränderungen, aber es könnte gelingen.
Gibt es eine optimale Ernährung, um sich fit und gesund zu fühlen oder ist das von Mensch zu Mensch unterschiedlich? Und wie kann man herausfinden, was einem gut tut?
Die einzig richtige Ernährung gibt es nicht und das ist auch gut so. Allein die unterschiedlichen Klimazonen, Bodenqualitäten usw. der Welt lassen das nicht zu. Viel Fisch ist zum Beispiel gut, aber diese Erkenntnis nützt dir in den Alpen wenig, wenn wir einmal von teuren Transporten dahin absehen.
Es gibt noch nicht einmal eine Ernährungsweise, die für einen Menschen ein ganzes Leben lang funktioniert. In der traditionellen chinesischen Medizin unterteilt man Lebensphasen zum Beispiel in sieben Jahresschritte. Jede Phase hat andere Bedürfnisse. Das ist auch logisch, denn unser Hormonhaushalt verändert sich. Das wussten auch die indigenen Völker. Wir brauchen in den fruchtbaren Jahren, in denen wir Kinder auf die Welt setzen wollen, andere Sachen als in den 50ern oder als Senior. Männer genauso wie Frauen.
In all den Jahren, in denen mich das Thema beschäftigt, komme ich aber zu einem Schluss: Es ist wichtig, dass die Ernährung möglichst nährstoffreich ist. Und das erreichen wir nur mit natürlichen Lebensmitteln. Wir haben die Verarbeitung von Nahrung und auch die Produktion derselben in den letzten 150 Jahren aber leider auf ein Niveau gehoben, das das nicht mehr bieten kann. Umso wichtiger ist es, dass unsere Generation wieder mehr Wert auf nachhaltige Landwirtschaft, Demeter, Bio usw. legt. Das geht zwar vermeintlich ins Geld und braucht Zeit (z.B. zum selbst kochen), aber es zahlt sich langfristig aus.
Wichtig ist es, auf die Signale des Körpers zu hören. Er sagt uns sehr genau, was ihm gut tut und was nicht. Manchmal ist das etwas schwieriger, weil die Reaktionen auf das Essen nicht immer unmittelbar sind. Dann hilft ein Tagebuch in dem man genau aufschreibt, was man isst und welche Symptome sich wann einstellen. So kann man bei Beschwerden auf den Weg kommen. Grundsätzlich sollte Nahrung stärkend wirken. Ein Essen sollte befriedigen und einen gestärkt zurück lassen. Wer sich nach dem Essen müde fühlt oder erschöpft, der macht etwas falsch.
Woran merkt man, Lebensmittel nicht zu vertragen?
Das Problem mit Unverträglichkeiten ist, dass sich die Symptome überall im Körper bemerkbar machen können. Haut, Haare, Nägel, Psyche, Verdauungstrakt, Zähne – überall können Beschwerden auftreten.
Nehmen wir das komplexeste Beispiel: Zöliakie. In Deutschland weiß nur einer von neun Betroffenen, dass er es hat. Zöliakie kann durch die verminderte Nährstoffaufnahme im Dünndarm bis zu 300 Symptome verursachen. Hier spielen Entzündungs- und Immunprozesse zusammen mit Nährstoffmängeln eine Rolle. Ähnlich ist das bei der Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität. Häufig sind auch Verdauungsbeschwerden.
Wer immer wieder Blähungen, Bauchschmerzen, Durchfall und/oder Verstopfungen hat, der hat ein Problem. Auch hier hilft ein Symptom- und Ernährungstagebuch. Manchmal aber eben auch nur lange Recherche und/oder fachkundige Hilfe und Unterstützung. Leider liegt es heute oft am Essen, aber nicht nur.
Auch Bewegungsmangel, Lichtmangel und fehlende Regenerationszeiten können hier eine Rolle spielen. Deshalb ist es so wichtig alle Aspekte anzusehen. Wusstest du zum Beispiel, dass dauernder Durchfall auch einfach aus Angst und Überforderung entstehen kann? Das fragt dich aber kein normaler Kassen-Ernährungsberater.
Welchen Personen würdest du eine Ernährungsberatung empfehlen?
Die meisten unserer Kunden kommen zu uns, wenn der Leidensdruck groß genug ist. Das muss man leider so sagen. Der Wunsch nach Veränderung muss groß sein und das geschieht meistens erst, wenn alles andere fehlgeschlagen ist.
Essen ist eine persönliche und intime Sache. Viele Menschen tun sich sehr schwer daran etwas zu ändern, solange es Pillen gibt. Erst, wenn die nicht mehr helfen, dann wird eine Veränderung der Gewohnheiten in Betracht gezogen. Meist ist es dann schon sehr kompliziert und wir müssen gegen eine Vielzahl von Medikamenten „anarbeiten“.
Im Prinzip kann man viele Zivilisationskrankheiten mit einer angepassten Ernährung positiv beeinflussen. Meist geht es um Übergewicht, das tausende Ursachen haben kann. Schön wäre es also, wenn die Menschen früher kämen und nicht erst, wenn das Pillenkästchen unübersichtlich geworden ist.
Vieles kann man sich heute selbst anlesen und viele Menschen machen das auch. Auch deshalb haben wir unseren Blog. Der hilft vielen schon. Das Thema kann allerdings so komplex werden, dass es in Stress ausartet alles allein rauszufinden. Dann ist auch fachliche und mentale Begleitung sehr sinnvoll um Frust, Ängste und Unsicherheit abzubauen. Dafür sind wir da.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Was tust du für deine psychische Ausgeglichenheit?
Oh, oh, oh. Das ist eine schwierige Frage, denn ich bin leider noch lange nicht da, wo ich gern wäre. Aber auf einem guten Weg. Ich habe mittlerweile einige Tricks und Kniffe raus, die mir helfen. Auf der Ernährungsseite ist es eine glutenfreie Ernährung mit echten Lebensmitteln und ich ergänze mit Fischöl, weil die Fettsäuren eine wichtige Rolle im Kopf und für das Immunsystem spielen. Meine Immunsystemsignale landen eigentlich immer im Kopf oder auf der Haut.
Darüber hinaus bemühe ich mich um Bewegung. Das klappt leider aufgrund meiner Neurodermitis nicht immer so, wie ich mir das wünschen würde, aber ich tue, was ich kann. Yoga hat mir viel geholfen, mein Zentrum zu finden. Wenn ich es schaffe, regelmäßig zu üben, dann bin ich einem ausgeglichenen Ich schon sehr nahe. Aktuell beginne ich wieder mit Kraftsport. Mal sehen wie das läuft. Sport fördert Dopamin und Endorphine, das ist unwahrscheinlich wichtig für das „Glück im Kopf“.
Außerdem nutze ich die Aromatherapie, vor allem Lavendel, um Entspannung zu fördern und Zitrone/Orange für Energie und Konzentration. Ich lege Wert auf meine 8 Stunden Schlaf, regelmäßige Mahlzeiten und Gedankenhygiene.
„The Work“ von Byron Katie hat mir bei letzterem sehr geholfen. Wir merken oft nicht, wie negativ uns unsere eigenen Gedanken beeinflussen. Byron Katie vertritt die Ansicht, dass Gedanken, die einen mit Wut, Angst und Unzufriedenheit zurück lassen, nicht wahr sind. „The Work“ ist eine einfache Übung diese Gedanken zu finden, zu hinterfragen und aufzulösen. Für mich ein wirklich, wirklich wertvolles Werkzeug im Alltag.
Vielen Dank für das Interview!
Interviewpartnerin:
Nadja Polzin ist Wirtschaftswissenschaftlerin und ganzheitliche Ernährungsberaterin. Sie beschäftigt sich seit einigen Jahren aufgrund eigener gesundheitlicher Probleme intensiv mit dem Thema Paleo Lifestyle und Low-Carb Ernährung. Die Erfahrung über die Heilkraft einer individuell angepassten Ernährung hat sie zur Gründung von foodlinx.de gebracht. Mit der Webseite und dem Beratungsangebot möchte sie allen helfen, die auf natürlichem Weg gesund und leistungsfähig sein möchten. Homepage: Foodlinx
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