Heute gibt es einen weiteren persönlicher Erfahrungsbericht am Blog. Lena befindet sich mitten in ihrer Reise zur Gesundheit und teilt ihre Erfahrungen über Arztbesuche und das Absetzen von Psychopharmaka. Wenn sich jemand mit Lena austauschen oder sie mit Tipps unterstützen möchte, ist es möglich, einfach in das Kommentarfeld unter diesem Beitrag zu schreiben! Danke für deine Offenheit, Lena!
Ich möchte, nachdem ich My Free Mind gefunden habe und mir dort immer wieder hilfreiche Tipps und Trost hole, gerne mit meiner persönlichen Geschichte einen Beitrag leisten.
Ich greife dabei ungefähr 12 Jahre zurück und beginne meine Geschichte dort, wo ich das erste Mal mit psychischen Themen und Psychopharmaka konfrontiert wurde.
Im Sommer nach der Maura hatte ich das erste Mal Panikattacken.
Ich werde nie vergessen, wie es begonnen hat und ich kann schwören: Nach diesem einen Nachmittag im Sommer 2004 war es nie mehr so wie früher.
Auch wenn das nicht heißt, das alles immer nur schlecht war, ganz im Gegenteil!
Ich war mit einem Buch in die Natur rausgefahren, um die Sonne und eine gute Geschichte zu genießen. Auf dem Heimweg hat mich ein mulmiges Gefühl umfangen. Ein Gefühl, als würde ich träumen oder wie in Watte eingepackt sein.
Ich nahm an, eventuell krank zu werden und wollte mich daheim ausruhen. Nach einem kleinen Schläfchen war mir dann extrem schwindelig beim Aufstehen. Die nächsten Tage und Wochen ging es dann weiter mit unangenehmen körperlichen Gefühlen (die auch einer Grippe ähnlich sein könnten) und steigerten sich dann zu Herzrasen und leichter Atemnot in U-Bahnen, Menschenmengen, kleinen Räumen, usw.
Dazu muss ich sagen, dass es bei mir, Gott sei Dank, nie so schlimm wurde, dass ich tatsächlich nicht mehr außer Haus gegangen bin.
Aber es war sehr schwer.
Oftmals hat es mich sehr viel Überwindung gekostet, meinen Alltag fortzuführen.
Vor allem mit Beginn der neuen Universität. Die Dame bei der ich ein Zimmer in Untermiete hatte, arbeitete zu der Zeit in einer Nervenanstalt und meinte, ich sollte doch mal zum Arzt mit meinen „Zuständen“.
Diesen Rat habe ich befolgt und bin nach 10 Minuten Gespräch bei einem fremden Hausarzt mit 5mg Cipralex in der Tasche nach Hause gegangen.
Auf die Frage hin, wie lang ich das Medikament nehmen müsste (das Wort Antidepressiva fiel übrigens kein einziges Mal), meinte er: „Na am besten ihr ganzes Leben.“
Leider war ich damals zu jung, um mich mehr über das Medikament zu informieren.
Manchmal frage ich mich, was die letzten 10 Jahre anders gelaufen wäre, hätte ich nie damit angefangen.
Ich muss aber bei allem Übel auch zugeben, dass es geholfen hat.
Nach ca. einem dreiviertel Jahr habe ich Cipralex ziemlich frei von Beschwerden wieder ausgeschlichen. Ebenso war ich in einer Verhaltenstherapie, konnte aber damals leider auch noch nicht sehr viel damit anfangen.
3-4 Jahre später bekam ich dann wieder Panikattacken – diesmal bereits in einer Werbeagentur arbeitend.
Da mir das Medikament davor bereits geholfen hatte, habe ich schnell wieder dazu gegriffen.
Es war eine ähnliche Geschichte, wie beim ersten Mal: Bald gings mir besser und ich habe wieder abgesetzt (diesmal schon ein wenig schwerer als beim ersten Mal).
Dann, vor etwa 3 Jahren, wurde der damalige Freund meiner Mutter sehr schwer krank und ich war in einer arbeitsintensiven Phase. Die Krankheit und der Stress haben all meine tiefen Dämonen und Gründe, warum ich mit den Themen zu kämpfen habe, herausgeholt und ich bekam eine depressive Phase, aus der ich nicht herauszukommen wusste – daher begann ich wieder die Medikamente einzunehmen (diesmal 10mg).
Glücklicherweise bin ich habe ich zu der Zeit auch die Coaching-Methode und Lebensberaterin gefunden, mit der ich heute noch immer arbeite. Ich habe 2 Familienaufstellungen bei ihr gemacht (die ich auch sehr empfehlen kann) und regelmäßige Coachings, ohne die sich bestimmt trotz Einnahme der Medikamente nicht viel getan hätte.
Ich hatte trotz höchster Dosierung bis dato immer wieder depressive Phasen und nicht wirklich den Eindruck, dass die Tabletten halfen.
Die Neurologin, von der ich mir die Rezepte holte, war auch keine Hilfe. Wenn ich gerade eine schlechte Phase hatte, meinte sie: „Dann erhöhen wir die Dosis und nehmen zusätzlich noch ein weiteres Medikament, welches die starken Ups and Downs glätten sollte.“
Gott sei Dank war ich nun schon reif genug, mir selber Gedanken zu machen und habe für mich entschieden, dass eine weitere Steigerung und die Einnahme zusätzlicher Tabletten nicht die Lösung sein kann.
Ich hatte panische Angst, dass eine Erhöhung der Dosis erst recht nichts helfen würde, ich immer mehr brauchen würde und am Ende nie mehr wegkommen kann.
Im Lauf der Zeit wurden die depressiven Phasen immer seltener und schwächer, woraufhin ich beschloss, die Medikamente wieder langsam auszuschleichen.
Ich habe mir wirklich Zeit gelassen. Das Absetzen hat insgesamt ein dreiviertel Jahr gedauert. Zuerst von 10mg auf 0,7, dann Monate später auf 0,5 etc. Mit jeder Reduktion ging ein heftiges Tief einher, begleitet von Schweißausbrüchen, Zittern, Weinen und allem, was man sich so vorstellen kann.
Aber es hat sich immer alles wieder eingespielt nach einigen Wochen.
Jetzt kommen wir langsam zum Ist-Stand 🙂
Ende August habe ich meine letzten 0,1 mg pulverisiertes Cipralex genommen.
Ungefähr 2 Wochen danach bin ich in mein altbekanntes „Reduktions-/ Absetztief“ reingeschlittert, von dem ich mich nun sehr langsam erhole.
1 Monat lang gings mir auf jeden Fall furchtbar: Schlafstörungen, Schweißausbrüche, Magenschmerzen, emotionale Tiefgänge, Schwindel, stundenlanges Weinen, Konzentrationsschwierigkeiten, keine Kraft für Irgendetwas.
Wenn ich an die Wochen denke, kommt mir alles wie ein riesiges schwarzes Loch vor.
In der Zeit habe ich sehr intensive Coachingtermine gehabt (fast täglich eine Stunde), ohne denen ich nicht weiß, wie ich über die Runden gekommen wäre.
Außerdem bin ich gesegnet mit einer liebevollen, geduldigen, mit dem Thema vertrauten Mutter und vielen Freunden, die mich immer wieder durch die dunklen Stunden begleitet, und diese damit ein wenig leichter gemacht haben.
In der Zwischenzeit hatte ich auch schon lichte, sehr gute Tage, an denen mir alles wieder völlig normal vorkommt. Wo ich mich frage: „Was rege ich mich denn sonst so auf, ich verstehe das gar nicht.“
Dann gibt es wieder viele schwere Tage dazwischen.
Aber so weit wie möglich distanziert betrachtet kann ich sagen, dass es wieder bergauf geht. Ich gehe wieder regelmäßig arbeiten (ich bin selbstständig), trainieren und treffe meine Freunde.
Womit ich am meisten kämpfe beim Absetzen ist meine Ungeduld mit mir selbst.
Der Fortschritt der Besserung läuft nicht so schnell, wie ich es gerne hätte und an den schlimmen Tagen kriechen dann Zweifel auf, ob ich es denn überhaupt ohne Medikamente schaffen kann.
Dann denke ich zurück an Zeiten, wo ich 10mg Antidepressiva geschluckt habe und es auch schlechte Zeiten gegeben hat. Das gibt mir wieder Hoffnung.
Ich merke, wie sehr jegliches Übel im Kopf verankert ist bei mir.
Zuerst ist ein Gefühl da, das mich traurig stimmt. Dann beginne ich das Gefühl zu zerlegen und frage mich, woher es kommt. Darauf finde ich in den seltensten Fällen eine akkurate Antwort und schon fällt die Laune eine Stufe tiefer. Danach macht mich fertig, dass ich mich selber fertig mache. Dass ich es gerade nicht schaffen kann, all die schönen Dinge, die mir mein Leben tatsächlich bietet zu sehen.
Und irgendwann wird es dann so schlimm, das ich mich wie gelähmt fühle von den Gedanken in denen ich mich selber hinunter drücke.
Wäre es nicht das einfachste, seinen Kopf abdrehen zu können?
Das wünsche ich mir an diesen Tagen.
Einen Abschaltknopf.
Da es den leider nicht gibt, versuche ich das Gefühl (möglichst ohne Kopf) da sein zu lassen und anzunehmen. Es so richtig zu spüren im ganzen Körper, egal wie unangenehm es ist und jeden Widerstand und jede Ungeduld mit mir selbst und alles einfach passieren zu lassen.
Wenn mir das gelingt, dann wird es besser.
Noch ein kleiner „Mind-Trick“, der mir Mut gibt nicht aufzugeben:
Jeden Tag lege ich eine Tablette (die ich früher eingenommen hätte) in eine kleine Schachtel. In dieser Schachtel war einmal ein Geburtstagsarmband für mich drinnen. Wenn man sie öffnet, hört man „I feel good“ von James Brown.
Ansonsten kann ich nur jedem raten, Sport zu treiben. Ich mache immer viel Sport.
In den Wochen, wo es mir so richtig, richtig schlecht ging, habe ich nicht einmal das geschafft. Ich hatte Angst, dass ich jederzeit zu weinen anfange, wenn ich irgendjemanden sehe, mit jemandem reden muss oder etwas im Training nicht gelingt.
Also ich kann jeden verstehen, der sagt: ES GEHT EINFACH NICHT.
Aber: Ich verspreche, dass Ausdauertraining über eine halbe Stunde garantiert hilft, die Laune zu heben.
Laufen, Rad fahren, Rudern,…
Normalerweise bin ich in Gruppentrainings, das war mir zu heftig in der Zeit, irgendwann habe ich mir dann aber kräftig in den Hintern getreten, Kopfhörer aufgesetzt, damit mich niemand anredet und bin zitternd ins Gym gegangen.
Den ganzen Nachmittag lang war meine Laune um einiges gehoben.
Für die weiteren Wochen wünsche ich mir sehr, dass mein System es schafft, sich von dem Absetzten zu erholen und dass wieder Normalität in mein Gefühlsleben einkehrt.
Diese Unsicherheit und Auf und Abs sind sehr anstrengend.
Ich wünsche mir, mein schönes Leben wieder fühlen und annehmen zu können.
So wie an den lichten Tagen zwischendurch.
Wo ich diese Grübelei und schwarzen Gedanken nicht mehr nachvollziehen kann.
Nachtrag von Lena 17.12.2015
Liebe Moni,
Ich wollte mich nur mal melden, weil ich nun ehrlich sagen kann über die Absetzerscheinungen hinweg zu sein und dass sich das Durchhalten gelohnt hat!
Liebe Lena, liebe Moni,
habt vielen Dank für das Teilen dieses sehr persönlichen Erfahrungsberichtes. Das hilft Betroffenen genauso wie anderen Interessierten.
Ich hatte in meinem Leben bei extremen Umbruchsphasen immer wieder depressive Episoden, die ich nicht behandeln ließ. Mein unmittelbares Umfeld war allerdings schon davon betroffen.
Anfang diesen Jahres verschärften sich meine Arbeitsbedingungen derart, daß ich kaum noch Gestaltungsspielraum hatte. Körper und Seele rebellierten und ich kam diesmal nicht ohne Behandlung aus. Allerdings weigerte ich mich, Antidepressiva zu nehmen. (Bitte nicht falsch verstehen – das ist kein Plädoyer dagegen, nur mein ganz persönlicher Weg). Ich hatte mich zuvor im Internet schlau gemacht und wollte meinen Weg selbstbestimmt gehen.
Jetzt lasse ich mein altes Leben hinter mir und es geht mir gut dabei. Das Wichtigste waren und sind gute Begleiter und Weggefährten.
Alles Liebe Euch,
Sabine
Liebe Sabine!
Danke, dass du hier auch deine persönlichen Erfahrungen teilst.
Deine Seite gefällt mir auch gut, ich werde noch genauer in die Beiträge reinlesen.
Meiner Meinung nach, ist der Weg aus einer Krise heraus ohne Medikamente immer schwieriger und belastender – man braucht Zeit, Unterstützung und Ressourcen. Doch das, was man dabei lernt, kann einem niemand mehr nehmen. Man wächst daran, eine Krise gemeistert zu haben. Psychopharmaka hingegen bringen leider viele, viele Probleme mit sich. Ich bin froh, dass dir diese erspart geblieben sind.
Alles Liebe, Moni
Ich habe größten Respekt vor Dir und dass Du den Mut hattest das durchzuziehen. Du machst mir sehr viel Mut. Ich danke Dir!