Ich finde es erstaunlich, wie sich verschiedene Wege im Leben kreuzen.
Ich habe Christina in einem Yogakurs kennengelernt, den ich privat besucht habe.
Nie hätte ich in diesem Moment ahnen können, dass das Mädchen auf der Yogamatte neben mir seit einem Jahr an chronischen Schmerzen leidet.
Wir Menschen tragen oft eine Maske beziehungsweise versuchen wir stets die beste Version unserer Selbst zu präsentieren, besonders bei ersten Begegnungen.
Ich mache es nicht anders.
Doch es hat mich immer schon fasziniert, was dahinter steckt. Die Lebensgeschichten.
Nach ein paar Monaten trafen wir uns wieder, tauschten uns aus, Christina erfuhr von meinem Blog und gründete schließlich selbst einen. Und dann zeigte sie mir: Ihr Buch.
Da es mich berührt hat, möchte ich es euch heute vorstellen.
Ich bin mir sicher, einige meiner Leser werden sich damit identifizieren können, denn es handelt von einer Krise, chronischen Schmerzen und vom menschlichen Impuls, alles zu versuchen, um wieder gesund zu werden.
Das Schwanken zwischen Mut und Hoffnungslosigkeit, zwischen Fortschritten und Rückschritten.
Und darüber, wie man lernt, loszulassen.
Christina hat in einem Ausschnitt ihres Buches sehr deutlich gemacht, worin es sich zu anderen „Heilungsgeschichten“ unterscheidet, denn sie hat in ihrer Krise selbst viele Ratgeber und Selbsthilfebücher gelesen, um Hoffnung und Halt zu finden.
Natürlich suggeriert wahrscheinlich das Wort „Selbsthilfebuch“, dass darin positive Gedanken und nachahmungswerte Wege vermittelt werden. Wenn man zu solchen Büchern greift, geht es einem meist sowieso schon schlecht, da muss man nicht noch von jemand anderem lesen, dem es ebenfalls schlecht geht oder ging. Diese Bücher säen die Hoffnung in uns, dass wir es ebenfalls schaffen würden und dass unser misslicher Zustand nicht ewig anhalten würde.
Auch ich sehnte mich nach diesem Hoffnungsfunken – zumindest eine Zeit lang. Doch dann hatte ich das erleuchtete Gerede satt. Es machte mir augenscheinlich nicht mehr Hoffnung und Mut. Im Gegenteil fühlte sich jedes Wort wie ein erhobener Zeigefinger an: „Ich habe es geschafft, du kannst das auch schaffen. Und wenn du es nicht schaffst, dann willst du es nicht genug, dann hast du die Lektion deiner Krise noch nicht gelernt oder schlimmer, dann ziehst du anscheinend (unbewusst) Vorteile aus deiner Krise.“
Ich sehnte mich in dieser Zeit nach jemandem, der den Mut hatte, von den tiefen seiner Seele zu sprechen, von der Dunkelheit, die sich in ihm und um ihn herum ausbreitete, von der Angst, davor Angst zu haben, von dem Zwang, positiv zu denken und vom Paradox, allein sein zu wollen ohne sich einsam fühlen zu müssen, von der Sehnsucht verstanden zu werden, vom Hass auf seine eigene dunkle Seite, von der Angst der eigenen Gedanken, vom Drahtseilakt zwischen aufgeben und loslassen, vom wahren Weg der Heilung, der keinesfalls linear verläuft, von Rückfällen und der Angst davor…“
In ihrem Buch erzählt Christina vom Beginn ihrer Symptome, von der Suche nach Heilung, von Schulmedizinern und alternativen Heilern, von Psychotherapie, aber auch von der sozialen Einsamkeit, die mit chronischen Erkrankungen einhergeht.
Meine Freunde ließen nur noch selten von sich hören und ich meldete mich auch kaum. Es schmerzte mich, wenn sie peinlich berührt, nicht nach meinem Befinden fragten. Und genauso schmerzte es mich, wenn sie danach fragten. Denn das bedeutete, dass ich mich rechtfertigen musste – so kam es mir immerhin vor – warum es mir immer noch schlecht ging. Zudem verlagerten sich einfach meine Prioritäten. Ich war zu sehr mit mir und meinen Schmerzen beschäftigt, als dass ich über Mode, Musik, eine neue Liebe oder den nächsten Urlaub sprechen konnte. Ich befand mich auf einer Eisplatte, die immer weiter vom Festland abdriftete. Sehnsuchtsvoll blickte ich auf das Festland zurück und wollte nichts mehr, als wieder ein Teil davon sein.
Die Ungewissheit war das schlimmste daran. Hätte mir irgendjemand ein Datum nennen können – was natürlich unmöglich war – wann die Schmerzen enden, dann hätte ich einfach durchgehalten, durchgebissen, wie ich es sonst auch tat. Somit begann ich die Ungewissheit fast noch mehr zu hassen als die Schmerzen.
Viel zu oft glauben wir, dass unser Körper in der Blüte unserer Jahre alle Anstrengungen und all den Stress einfach hinnimmt.“
Wenn du Interesse an dem Buch hast, kannst du es dir hier ansehen: Heimreise.
Interview mit der Autorin Christina Terle
Liebe Christina, woher hast du den Mut genommen, deine Geschichte zu erzählen?
Das ist keine einfache Frage. Ich glaube nicht, dass es Mut war, der mich dazu veranlasst hat, meine Geschichte zu erzählen, sondern dieses Gefühl, dass mir das Vertrauen gab, das Richtige zu tun.
Nach einer meiner unzähligen Behandlungen, die nicht den gewünschten Effekt brachten, habe ich zum Scherz gesagt: „Na, das wäre ein weiteres Kapitel für ein Buch“. Und dann dachte ich: „Warum eigentlich nicht?“. Ich habe schon immer gerne geschrieben. Schreiben ist einfach eine wunderbare Methode zu reflektieren. Ich habe also begonnen alles aufzuschreiben – einfach des Schreibens willen.
Als das Buch fertig und vom Familienrat gelesen war, habe ich mich entschlossen, es zu veröffentlichen. Da stellte sich natürlich anfangs die Frage: Pseudonym oder mein Name. Ich erfüllte mit meiner Veröffentlichung bereits ein altes Klischee: Ein Buch über Heilung zu schreiben. Somit fragte ich mich, welchen Sinn ein weiteres Buch über Heilung, wenn noch dazu anonym veröffentlicht, hätte. Es stand somit fest, wenn ich das Buch veröffentliche, dann unter meinem Namen, um anderen die Scham vor ihrer Krankheit und vor ihrem Heilweg zu nehmen.
Und der Nutzen? Der Buchmarkt braucht doch nicht noch ein Buch über einen Heilweg, oder? Ich habe zu Beginn meiner Krise etliche Selbsthilfebücher gelesen. Doch hat mir in den meisten Büchern eines gefehlt: Die Dunkelheit! Mein Buch ist inmitten meiner Krise entstanden und enthält deshalb auch die Dunkelheit, der sich jeder erkrankte Mensch stellen muss. Und das ist gut so. Denn nur, wenn wir über die Dunkelheit sprechen, kann sie ans Licht kommen.
Wie kann man deiner Meinung nach Personen, die sich in einer Krise befinden, am besten trösten und unterstützen?
Ich habe sehr viel darüber nachgedacht, ob es wohl ein Rezept für richtiges Trösten gibt. Das ist ein sehr individuelles Thema, aber ich habe zumindest für mich eine gute Methode gefunden. Wenn man jemanden trösten möchte, muss man diesem Menschen auf Augenhöhe begegnen und den Wunsch loslassen, ihm sofort helfen zu können. Man muss bereit sein, seiner Verzweiflung, seiner Trauer und seiner Wut zu begegnen und sie da sein zu lassen. Es ist meiner Meinung nach essentiell, ihm oder ihr das Gefühl zu geben, dass sie OK sind und nicht ein Problem, das gelöst werden muss!
Jeder heilt in seiner eigenen einzigartigen Art und Weise. Es gibt kein Patentrezept. Für den Tröstenden heißt das manchmal warten, umarmen und einfach da sein (ohne gut gemeinte Ratschläge). Es wird nicht ewig dauern. Denn die tröstende Präsenz gibt Hoffnung und Hoffnung gibt Kraft.
Was ist papier-ist-geduldig?
Ich habe mich im letzten Jahr sehr viel mit den Themen selbstwirksame Lebensweise, Mental- und Achtsamkeitstraining sowie den Herausforderungen meiner Generation, die so oft die Generation Y genannt wird, beschäftigt. Daraus entstand der Wunsch, meine Gedanken und Erkenntnisse nicht für mich zu behalten und der kunterbunte Blog papier-ist-geduldig entstand.
Ich danke My-Free-Mind ganz herzlich für die Buchvorstellung und das Interview!
Wenn das Buch auch nur einer einzigen Person Hoffnung und Mut gibt, hat es seinen Zweck erfüllt! 🙂
Kannst du dich mit Christinas Erlebnissen und Gedanken identifizieren?
Dann freue ich mich über Kommentare, Christina liest bestimmt auch mit.
auch wunderschön :
Das Märchen von der traurigen Traurigkeit
Es war eine kleine Frau, die den staubigen Feldweg entlang kam. Sie war wohl schon recht alt, doch ihr Gang war leicht, und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmerten Mädchens.
Bei der zusammengekauerten Gestalt blieb sie stehen und sah hinunter. Sie konnte nicht viel erkennen. Das Wesen, das da im Staub des Weges saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen.
Die kleine Frau bückte sich ein wenig und fragte: „Wer bist du?“
Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. „Ich? Ich bin die Traurigkeit“, flüsterte die Stimmen stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war.
„Ach, die Traurigkeit!“ rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.
„Du kennst mich?“ fragte die Traurigkeit misstrauisch.
„Natürlich kenne ich dich! Immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet.“
„Ja, aber…“ argwöhnte die Traurigkeit, „warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast du denn keine Angst?“
„Warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlos aus?“
„Ich… ich bin traurig“, antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.
Die kleine alte Frau setzte sich zu ihr. „Traurig bist du also“, sagte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. „Erzähl mir doch, was dich so bedrückt.“ Die Traurigkeit seufzte tief. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie sich das schon gewünscht.
„Ach, weißt du“, begann sie zögernd und äußerst verwundert, „es ist so, dass mich einfach niemand mag. Es ist nun mal meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und für eine gewisse Zeit bei ihnen zu verweilen. Aber wenn ich zu ihnen komme, schrecken sie zurück. Sie fürchten sich vor mir und meiden mich wie die Pest.“ Die Traurigkeit schluckte schwer. „Sie haben Sätze erfunden, mit denen sie mich bannen wollen. Sie sagen: Papperlapapp, das Leben ist heiter. Und ihr falsches Lachen führt zu Magenkrämpfen und Atemnot. Sie sagen: Gelobt sei, was hart macht. Und dann bekommen sie Herzschmerzen. Sie sagen: Man muss sich nur zusammenreißen. Und sie spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken. Sie sagen: Nur Schwächlinge weinen. Und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe. Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht fühlen müssen.“ „Oh ja“, bestätigte die alte Frau, „solche Menschen sind mir schon oft begegnet.“
Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Und dabei will ich den Menschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen. Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besonders dünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde, und das tut sehr weh. Aber nur, wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weint, kann seine Wunden wirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Statt dessen schminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narben. Oder sie legen sich einen dicken Panzer aus Bitterkeit zu.“ Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach, dann stärker und schließlich ganz verzweifelt.
Die kleine, alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weich und sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. „Weine nur, Traurigkeit“, flüsterte sie liebevoll. „Ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit die Mutlosigkeit nicht noch mehr an Macht gewinnt.“
Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre nette Gefährtin: „Aber… aber – wer bist eigentlich du?“
„Ich“, sagte die kleine, alte Frau schmunzelnd, und dann lächelte sie wieder so unbekümmert wie ein Mädchen:
„Ich bin die Hoffnung.“
Sehr schöne Geschichte! Danke fürs Posten, carolina! Dazu fällt mir der aktuelle Disney Film ein: „Alles steht Kopf“.
Lg, Moni