Protrahiertes Absetzsyndrom: Die zwei Phasen

Dieser Blogpost beschäftigt sich mit dem „protrahierten Absetzsyndrom“ nach dem Gebrauch von Psychopharmaka (protracted withdrawal syndrome, prolonged withdrawal syndrome) und richtet sich an Langzeitbetroffene.

Aus dem Leben einer Langzeitbetroffenen

 

Eine Bekannte von mir hat sich bereit erklärt, aus ihrem Leben zu erzählen.

Sie berichtete mir, dass sich der Prozess des Absetzens von Psychopharmaka bei vielen Betroffenen in zwei Phasen gliedert.

Die erste Phase würde aus dem reinen Aushalten bestehen.

Die körperlichen Symptome seien überwältigend gewesen, viele Personen seien bettlägerig und würden einfach irgendwie durchhalten – Tag für Tag.

Die Symptome würden in sogenannten „Wellen“ auftreten und viele Personen würden zwischendurch auch „Fenster“ erleben (damit sind kurze beschwerdefreie Zeiträume gemeint).

 

In dieser Zeit ist es entscheidend:
  • sich über das Absetzen zu informieren
  • die Hoffnung auf eine positive und gesunde Zukunft nicht aufzugeben (auch wenn die Phase lange dauert)
  • von Angehörigen/Freunden unterstützt und ermutigt zu werden (auch mehrmals am Tag)
  • sich zu schonen und nicht zu viel von sich zu verlangen
  • die Situation (soweit wie es möglich ist) zu akzeptieren und nicht dagegen anzukämpfen

Erste_Phase

Eines Tages würden bei vielen Betroffenen die Symptome dann dauerhaft verschwinden.

Danach würde die zweite, ebenso schwierige Phase folgen – die des Wiederaufbauens.

Ein schweres Absetzsyndrom, welches über Monate oder Jahre anhält, fordert seinen Preis.

Man kann es mit einem Hurrikan vergleichen, der durch eine Stadt fegt und alles verwüstet und niederreißt:

das Selbstvertrauen, die finanzielle Sicherheit, den Arbeitsplatz, die Freunde.”

Monica Cassani, Sozialarbeiterin und Betroffene sowie Autorin des englischsprachigen Blogs „Beyond Meds“, schreibt in diesem Zusammenhang sogar über eine erlittene Posttraumatische Belastungsstörung durch ein schweres Absetzsyndrom.

Das erscheint mir durchaus plausibel, denn es bedeutet einen kompletten Kontrollverlust, völlige Hilflosigkeit, viele Hindernisse und einen langen Zeitraum, in dem man sich von Tag zu Tag kämpfen muss.

In der zweiten Phase hat man die Chance zu wachsen, sich weiter zu entwickeln und sich viele Kompetenzen und Coping- Strategien anzueignen, denn es geht um

den Wiederaufbau:

  • des eigenen Selbstbewusstseins
  • der sozialen Kontakte (bzw. den Aufbau neuer Kontakte)
  • der Arbeit (im Sinne einer Berufstätigkeit, Hausarbeit oder sonstiger “sinnvoller Tätigkeiten”)
  • des Vertrauens in den eigenen Körper

Zweite_Phase

 

Das Vertrauen in den eigenen Körper wird durch langanhaltende unkontrollierbare (körperliche und psychische) Symptome so sehr erschüttert, dass man es danach erst wieder aufbauen und neu lernen muss.

Lernen, dass der Körper wieder kräftig und leistungsfähig ist.

Lernen, dass der Körper nicht spontan versagt und nichts Schlimmes bzw. Unerwartetes mehr passiert.

Gleichzeitig auf seinen Körper hören und spüren: Was tut mir gut und was nicht.”

Bei diesem Prozess können körperbezogene Therapieformen wie Yoga hilfreich sein. Beim Praktizieren würde man sich und seinen Körper besser kennenlernen und es wäre möglich,  in einem sicheren Raum austesten, wo die eigenen Grenzen liegen.

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